5. April 2017

Mein philosophisches Nachdenken über den Tod

Sich als Lebender den Tod vorzustellen, wird ihm nicht gerecht, denn es legt an ihn die falsche Bewertungsskala an. Er ist Nicht-Leben und damit nicht mit unseren vertrauten Konzepten zu durchdringen, nicht verstehbar. Das Todsein ist unbekanntes Sein, ein anderes Sein. Der Tod kann erst erfahren und begriffen werden, wenn er eingetreten ist.

Wir blicken lieber zurück auf das Vertraute, als in die Richtung des Unbekannten, das wir nicht begreifen und steuern können. Neugier auf den Zustand des Todes zu entwickeln würde das Leben und dessen Verlust relativieren.

Es ist der Fluch des ersten Atemzugs, bis zum letzten Atemzug das Beste aus der Ich-Epoche zu machen. Es ist quasi Schicksal, in Bewegung zu bleiben, via Geburt erfolgter Auftrag, Körper und Geist zu pflegen, solange sie existieren, die Zeit zu füllen, sich zu beschäftigen, bis sich alles wieder stoppt und auslöscht, bis der individuelle Zeitpunkt des Nicht-mehr-weiter-Altern-könnens eingetreten ist. Nicht Warten auf den Tod, kein Erwarten von Antwort, Belohnung, Wertschätzung, denn das geschieht nebenbei. In der seeligen Kindheit gibt es den Tod noch nicht. Nur leider lässt sich das erst hinterher erkennen und dessen Abwesenheit nicht mehr rückwärts genießen. Der Weg zum Tod muss beschritten werden.

Es gilt, den Tod als Normalität zu begreifen, als bekannten Ziel-Zustand. Nicht nur werden alle Körperzellen alle paar Jahre ausgetauscht oder stirbt die Kindheit und Jugend, sondern du warst vor der Geburt ewig tot und verschläfst ein Drittel deines Lebens (= kleiner Tod). Sind alle Bekannten, Verwandten inklusive der eigenen Kinder aus der Welt geworfen, dann hält dich so gut wie nichts mehr.

Das beobachtbare Universum ist Hort von Leben und Tod zugleich, von Werden und Vergehen. Unser Leben besteht aus unzähligen Zustandsänderungen. Im Verleben wirkt der Tod, indem er Materie und Energie umwälzt. Wir hängen am alten, bekannten Zustand und fürchten uns vor dem, was noch nicht ist, vor Transformationen unseres scheinbar stabilen Zustandes. Wären wir tot und stünde das Leben bevor, würden wir uns vermutlich vor dem Leben fürchten.

Wir sind totgeweiht, stetig nur einen winzigen Schritt vom Abschalten aller Sinne entfernt. Nicht nur Krankheiten bedrohen unser Verdrängen. Leben und Tod sind Nachbarn, einzig durch eine Zustandsänderung voneinander getrennt. Jederzeit kann der Tod eintreten, durch Unfall, Mord oder Kollabieren (Herzstillstand). Links und rechts von uns vergehen Mitmenschen. Wir beherrschen nicht das Datum des Abschieds, wir sind als Noch-Lebende der Gnade des Glücks und dem Terror des Zufalls ausgesetzt.

Mit dem Älterwerden lerne ich zu begreifen, dass mein Ziel nicht darin bestehen kann, 70, 80 oder 90 Jahre alt zu werden und damit in die Phase des Leidens am körperlichen Verfall einzutreten, sondern den Weg dahin mit Erfahrungen zu füllen. Das Rentenalter ist keine Verheißung, sondern das Verglühen der Lebens-Zukunft.

Der alternde Körper ist eine bockende, zerfallende Maschine. Solange er jung und gut geölt ist, ist er fast unsichtbar und scheint alles in Ordnung zu sein. Sobald er aber Stück für Stück versagt, werden wir mit ihm als unseren Träger und dem Haus, in dem wir auf Zeit wohnen, konfrontiert. Am Ende erwartet uns sein Totalausfall als multiples Organversagen. Das Sterben ist das Entziehen unseres Körpers, eine totale Entmachtung, Verlust der Kontrolle, ein Aufheben des Gewonnenen.

Wenn du stirbst, weißt du, was du verlierst, aber nicht, was dich erwartet. Du musst alles aufgeben, was du erreicht hast, denn du kannst es nicht überführen. Dinge und Orte während des Sterbens noch einmal zu machen oder aufzusuchen, ist weniger ein Verabschieden sondern ein Festhaltenwollen, eine Trauerarbeit.

Mit dem Tod gibt es keine Koordinaten mehr. Wir sind dann nicht mehr wir selbst, sondern zu Aliens geworden, die keiner der zurückbleibenden Menschen erkennt. Der Planet Erde ist für die Lebenden ein Durchgangsbahnhof, von dem täglich Zehntausende Menschen und Tiere abfahren, auf ihre “letzte Reise” gehen, in Richtung Auflösung. Wenn das Ablaufdatum des Körpers erreicht ist, ist das Ende der bisherigen Seinsform da. Das Finale ist eine Zeugnisausgabe und Startschuss für das Eintauchen in den ewigen Fluss des Un-Bewußt-Seins.

Der Tot ist äußerst radikal: Wenn er eintrifft, ist alles Gewesene ohne Belang und Wert. Er löscht jegliches Kapitel des eigenen Lebens. Doch mit ihm ist auch das Altern, Leiden, Bangen vorbei. Es ist unbestimmt, was einem durch ihn von dem möglichen Noch-Erleben erspart geblieben ist: Siechtum, Altersarmut, Einsamkeit, Schmerz, Koma. Nach ihm kommt Gedanken- und Gefühlslosigkeit. Kein Bedauern, Ängstigen, Verzweifeln vor dem Tod nach dem Tod.

Tod ist ein traumloser Schlaf, der viel länger dauert als geplant. Wer keine Angst vor dem Einschlafen hat, obwohl der Schlaf dem Leben für eine kleine Ewigkeit eine Pause beschert, sollte auch keine Angst vor dem Tod haben. Das Leben begrüßt den Tod als sein Jenseits. Das Leben verlebt und verausgabt sich, um vom Tod empfangen zu werden. Da wir nicht wissen, was uns hinter dem Zerfall und Ausfall erwartet, dürfen wir auch erwarten, dass etwas kommt, das uns überrascht. Das Unbestimmte erlaubt Hoffnung auf eine Steigerung zum Leben.

Wir sollten auf den Tod vorbereitet sein, anstatt ihn zu ignorieren oder uns gegen ihn zu wehren. Das Begräbnis ist sicher: für immer verstreutes Schweben im Universum. Da wir das Eintreten in den neuen Zustand nicht merken werden und unsere Seele dann nicht mehr existiert, wird alles entfallen, abfallen, gelöscht sein, was wir vorher durchstiegen und angehäuft haben.

Im Tod sind wir alle gleich. Alle schaffen den Übergang. Aus der Sicht des Lebens gibt es die negativ wertenden Begriffe wie Nichts, Ende, Verlust, Leere - aus Unwissenheit, wie es auf der anderen Seite ist bzw. wie er von dort aus gesehen werden kann. Der Tod stellt alles mit uns an: er entlässt uns aus den Fesseln der Natur, aus den Normen, aus Raum und Zeit, aus der Gesellschaft, aus dem Lebenskampf. Mit dem Tod empfängt uns scheinbar etwas Neues, wobei wir nur vergessen haben, wie dieser Zustand vor der Geburt war: Körperlosigkeit, Trieblosigkeit, Freiheit von Zwang. Kein Regime, kein Fließband. Angst- und sorgenfrei. Mit dem Denken hört das Fühlen auf.

Der Tod verlangt nach einer Aufladung mit Bedeutung. Wir blicken lieber zurück auf das Vertraute, als in die Richtung des Unbekannten, das wir nicht begreifen und steuern können. Neugier auf den Zustand des Todes zu entwickeln würde das Leben und dessen Verlust relativieren.In den Tod sind bisher alle Menschen eingelaufen, deren Lebenszeit abgelaufen ist. Damit kann er kein Ort der Einsamkeit sein. Der Zustand Tod ist gewiss. Er müsste demnach Basis unseres verlorenen Urvertrauens sein. Der Tod ist nicht das Schlimmste aller Übel, bloß weil er auf jeden wartet und jeden ereilt. Im Gegensatz zum Leben, das umtreibt, schmerzt, verrinnt, ist der Tod eigentlich ganz leicht.

Der Tod war die ganze Zeit das Ziel. In ihm angekommen bist du eins mit allen Vorfahren, mit deinen Brüdern und Schwestern. Willkommen in der Post-Menschheit, willkommen zurück in der Ursuppe, aus der du herausgeworfen worden warst, wieder Teil des Universums.

PS: Mein Text ist nicht als Verglorifizierung des Todes zu verstehen. Wer Selbstmordgedanken hegt, sollte noch einmal einen Blick in die Natur oder die Augen seiner Nächsten wagen, bevor er etwas wegwirft, das einzigartig ist. Sterben gelingt von ganz allein, es bedarf nicht unseres Zutuns.

2 Kommentare:

  1. Ich habe keine Angst vor dem Tod, wohl aber vor der Endlichkeit des Lebens.
    Ich beneide all jene, die an Dinge nach dem Tod glauben, mir selbst gelingt das bisher leider nicht.
    Aber deinen Text zu diesem Thema lieber Frank, hast du schön fotmuliert.
    Auf bald alter Freund

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  2. Hi Eni, danke für dein Feedback. Ich habe hingegen Angst vor dem Tod, weil er Verlust von allen (Beziehungen) und allem (Erfolgen, Wissen, Besitz, Erfahrungen) bedeutet. Genau das ist die Endlichkeit des Lebens, die du ansprichst. Deshalb suche ich nach Argumenten, um den Tod zu verstehen und kleinzukriegen. Ich als Atheist glaube zumindest an ein außerbewusstliches Jenseits, in das wir alle aufgehen, als Atome. Etwas von mir bleibt erhalten. Ich denke, wir werden nicht zu Nichts. Natürlich spielt nach dem Erlischen unserer Gehirnaktivitäten keine Rolle, ob und was von uns materiell nach dem körperlichen Zerfall übrig bleibt. Aber ich will daraus einen Trost ziehen.

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