31. Mai 2011

Liebe, Teil 3 - mein Liebesbegriff

Liebe ist m.E. ein bio-psycho-sozialer Tatbestand und es gibt daher viele unterschiedliche Beschreibungen dieser Komplexität. Liebe gilt als ein Phänomen, das u. a. von den Sinnelementen sexuelles Begehren, Zuneigung, Intimität, Treue, Paarbeziehung und Familie eingezäunt ist. Angesichts der unübersichtlichen  Menge an Definitionen und der daraus resultierenden Konturlosigkeit in Psychologie, Soziologie und medialem Diskurs besteht die Notwendigkeit eines enger gefaßten, restriktiven Liebesbegriff, auf den ein weiterführendes Begriffsgebäude in Bezug auf die Facetten bzw. Kontexte der Liebe gestellt werden kann. Nur dann ließe sich die Inflation des Liebesbegriffs und die damit zusammenhängende Ziellosigkeit einer Liebesforschung stoppen bzw. vermeiden. Dem Begriff Liebe muß ein präziser Sinn zurückgegeben werden!

Ich möchte nach meiner Beschäftigung mit den bestehenden Liebestheorien hier eine Liebesdefinition zur Diskussion stellen, die ich bevorzuge und die natürlich angesichts der gesichteten Fachliteratur nicht gänzlich auf meinem eigenen Mist gewachsen sein kann.

Ich verstehe unter „Liebe“ eine positive Emotion, die aus der kognitiven Einschätzung einer anderen Person als höchstbedeutsam für die eigenen Belange (z.B. Selbst- und Weltkonstruktion, Handlungsentwürfe) resultiert und die als Zuneigung empfunden wird. Der Liebende richtet seine Aufmerksamkeit komplett auf den Geliebten, er orientiert sein Erleben und Handeln an dem Geliebten, er nimmt affektiv Stellung zur Persönlichkeit des Geliebten. Mit anderen Worten: Eine Person wird geliebt, wenn der Liebende sie gut bzw. wertvoll findet, wertvoller als sich selbst und als sie sich selbst. Es kommt im Liebenden zu einer Resonanz auf bzw. Affizierung durch hochgeschätzte "Werte", die der Geliebte verkörpert und an denen der Liebende aus bestimmten Gründen partizipieren will. Dieses sich-eine-tolle-Person-aneignen-wollen basiert auf solchen Motiven wie Glück, Gewinn, Bestätigung, Selbstaufwertung, Bedeutsamkeit usw. Liebende interessieren sich nicht für  negativ bzw. als "geringer" bewertete Menschen, weil ihnen hier Passung, Faszination und Anziehung fehlen.

In meinen Augen versuchen wir mit dem Begriff Liebe jenes Sonderbare zu bezeichnen, das sich exklusiv nur zwischen zwei Menschen abspielt: Sie erleben ein bestimmtes Gefühl der Hin-Wendung, sie verinnerlichen die Selbst- und Weltsicht des jeweils anderen, sie deklarieren den anderen als höchstbedeutsam, sie bestätigen einander die Identität, bauen eine intime Beziehung auf, greifen dabei zurück auf Wissensbestände usw. Wir könnten singulär jeden einzelnen dieser genannten Facetten für sich als Liebe definieren und die übrigen Facetten dann als Ursachen oder Effekte der Liebe verstehen. Wer hat dann recht? Es kommt darauf an, für welchen Sinngehalt wir das Wörtchen Liebe reservieren
wollen: Liebe als Emotion (Zuneigung) oder als Interaktionspraxis (Austausch von Gaben, Kommunikation von Verstehen) oder als Kulturmuster (romantische Liebe)? Ohne klare Strukturierung der Erkenntnisse würden wir aneinander vorbeireden.

Was sich an Intimkommunikation und Intimsystemen aus der Liebe entwickelt, gehört aus meiner Sicht schon nicht mehr unmittelbar zur Definition von Liebe hinzu, wenn ich Liebe als Emotion auffasse, sondern zu den wichtigen Kontext-Feldern "Liebespraxis" - beschäftigt sich mit dem organisierten Interaktionssystem einer Paarbeziehung - und "Liebeskultur" - handelt von den Werten, Normen, Semantiken und Diskursen, die die Liebesgefühle symbolisieren. Das schematisierte Denken über diese Emotion (Kultur) und das von ihr geprägte praktische Handeln (Lieben) sind nach meinem Liebesverständnis also weitere thematische Kerne einer umfassenden Liebestheorie in der Soziologie.

2 Kommentare:

  1. Hallo Frank,

    in deiner Ausführung stimme ich dir und ganz besonders in Absatz 3 und 5 in allem zu. Durch die sexuelle Freizügigkeit die in den letzten 20 Jahren immer mehr zugenommen hat, kann man bei Intimkommunikation vielleicht nicht 100%-tig von einer Wechselbeziehung zweier Personen wie in Absatz 3 beschrieben ausgehen.

    Ich für mich würde die Definition Liebe zu 60% Emotion, 30% Interaktionspraxis und 10 % Kulturmuster definieren. Liebe besteht nicht nur zwischen Erwachsenen die während einer Liebesphase auch eine Intimkommunikation eingehen.

    Für meinen Teil kann romantische Liebe auch das gemeinsamme abhandeln eines Kindeswunsches sein.

    Vielleicht könntest du aber auch den Begriff Hassliebe mal aus deiner sicht definieren.

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  2. Ich trenne Liebe von Sexualität (Du sprachst die sexuelle Freizügigkeit an). Intimkommunikation meint nicht unbedingt sexuelle Praktiken, sondern "enthemmte Kommunikation" (nach N. Luhmann) über die privaten Welten der einander Liebenden, die Komplettberücksichtigung des Geliebten, die Bestätigung der Selbstdarstellungen, das Verstehen.

    Deine Definition erinnerte mich an die sog. Dreieckstheorie der Liebe von Sternberg, wonach sich Liebe aus maximal drei Komponenten zusammensetzt: Intimität, Leidenschaft und Bindung(bilden ein Dreieck zur Veranschaulichung). Romantische Liebe sei demnach die Kombination von Intimität und Leidenschaft ohne Verpflichtungs-Komponente...

    Es ist schwierig anzugeben, welche Einflussfaktoren mit welchem Anteil in das Lieben eingehen. Deine Verteilung gehört Dir allein, denn es gibt unzählige subjektive Liebesansichten.

    Stimmt, Liebe betrifft schon Säuglinge. Ich weiß noch, wie ich im Kindergarten an meiner Erzieherin hing und ein Mädchen aus meiner Gruppe liebte. Ich hatte sie stets im Auge und beobachtete sie ständig.

    Romantische Liebe kann vieles sein, je nachdem, was wir damit verbinden. Offiziell ist sie jenes bestimmte Konglomerat an normativen Vorgaben ist, das seit der Frühromantik (um 1800) "erfunden", gepflegt und verfeinert wurde und bis heute in unseren westlichen Gesellschaften kursiert (wobei hier auch v.a. milieu-, alters- und geschlechterbezogene Abwandlungen auffindbar sind). Was meinst Du mit "gemeinsames Abhandeln des Kinderwunsches", das klingt nicht gerade idealistisch, sondern nüchtern. Romantische Liebe als Ideal umfasst laut Soziologen meist mehr, z.B. enge Verknüpfung mit Ehe und Sexualität, mit Exklusivität und Treue, mit Dauerhaftigkeit und Betonung der Individualität.

    "Hassliebe" als Sonderform habe ich ehrlich gesagt bisher nicht im Blick gehabt. Schon dieses Wort bereitet mir Bauchschmerzen, weil es 2 Gefühle vermengt. Aber sie wird ja reell ausgelebt. Hass ist normalerweise ungleich der Liebe, denn es meint Nichtmögen. Und Hassliebe, das sagt uns Herr Google, betrifft das Umschlagen von Zuneigung in Abneigung und zurück, wie die Gezeiten, ein Auf- und Abwerten, eine ambivalente Bewertung des "Objekts", ein Wechselspiel starker Emotionen. Hassliebe als krasse Form einer gestörten Liebe interessiert mich nicht so sehr.

    Gruß, Frank

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