26. Mai 2011

Liebe, Teil 2 - Soziologische Sichtweisen

Das Phänomen "Liebe" hat mich seit meines Studiums der Soziologie fasziniert. Es ist eben nicht nur ein Wort mit fünf Buchstaben. Ich wollte alles wissen und besitze mittlerweile eine anständige Bibliothek. Ich habe vieles gelesen, doch das meiste leider wieder vergessen. Bücher sind zum Glück zum Nachschlagen da. Besonders interessierte mich die "Soziologie der Liebe", auch wenn andere Zweige wie Biologie, Geschichtswissenschaft, Psychologie und Philosophie sich mit Liebe beschäftigen.

Meine Magisterarbeit zum kulturellen Wandel der romantischen Liebe hatte ich in "Liebe, Teil 1" schon erwähnt. Ich begann im Anschluss sogar eine Doktorarbeit, in der ich mich per Befragung auf die Suche nach einer "gegenromantischen Drift im populärsemantischen Liebes-Apparat für Intimbeziehungen" begeben wollte (siehe Konzept). Ohne Fachchinesisch ausgedrückt: Wie sieht das subjektive und vom sozialen Umfeld dennoch mitgeprägte Liebesleitbild von Liebenden, die sich von romantischem Gedankengut verabschiedet haben, im Einzelnen aus? Aus verschiedenen, v.a. finanziellen Gründen brach ich jedoch die Dissertation ab.

Unabhängig davon wagte ich vor einigen Jahren, am Wikipedia-Eintrag "Liebe"ein klein wenig mitzuarbeiten. Dort gibt es den Abschnitt "Soziologie". Überraschenderweise wurde folgende Zuarbeit nicht gelöscht, sie blieb kritiklos stehen:

Es liegen in der Soziologie mindestens vier substantielle, thematisch einander eher ergänzende Ansätze zur Liebe vor. Sie betonen mehr oder weniger die liebebezogenen Aspekte von Kommunikation (Interaktion) und Semantik. Demnach wird Liebe 
  1. als Emotion (zum Beispiel bei Jürgen Gerhards), 
  2. als Kulturmuster (zum Beispiel bei Niklas Luhmann),
  3. als Intimsystem (bei Frank Becker/Elke Reinhardt-Becker, Jürgen Fuchs) und 
  4. nicht-kognitive Form kommunikativer Praxis (bei Günter Burkart, Cornelia Koppetsch) definiert.
Dies war meine persönliche Liste, die sich mir nach dem Studieren der soziologischen Ansätze aufdrängte, wobei ich die Definition von Liebe als Emotion favourisiere. Ob meine Aufzählung vollständig ist, können wohl nur andere, im Stoff stehende Sozialwissenschaftler beurteilen, denn es ist eine fachinterne, theoretische Frage.

Ich möchte demnächst diese vier Definitionsangebote der Soziologie genauer vorstellen, denn sie sind in Wikipedia nicht weiter ausgeführt, aber zuvor möchte ich ein Wort zu Erich Fromm verlieren. Wer kennt nicht sein berühmtes populärwissenschaftliches Buch "Die Kunst des Liebens"?! Es war auch mein erster Berührungspunkt mit dem Beziehungskram. Der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Fromm bot immerhin eine psychologisch-anthropologische Definition und Theorie der Liebe an (wenn auch keine soziologische), mit der man sich beschäftigen und auseinandersetzen konnte. Für ihn ist Liebe strenggenommen kein Gefühl, sondern die "Vereinigung mit einem anderen Menschen". Verwirrenderweise bringt er noch andere Formulierungen zum Wesen der Liebe ins Spiel, die von dieser Sichtweise teilweise abweichen bzw. sie aufweichen: Liebe sei ... "aktives Eindringen in den anderen", "Akt der Hingabe meiner selbst", "Erfüllung der Sehnsucht nach Einheit", "inneres Tätigsein", "eine Charakter-Orientierung", "Geben", "tätige Sorge für das Leben und Wachstum des anderen", "Verlangen, uns selbst und unseren Mitmenschen zu erkennen", "Kunst", "Glaube an einen anderen Menschen". Doch es gibt seit dem Erscheinen des Buches 1956 viele weitere wissenschaftliche Einsichten, so dass es ein fataler Trugschluss wäre zu denken, man wüsste nach dem Lesen dieses Buches Bescheid.

PS: Übrigens habe ich meinen Blogtitel "Liebe, Tod und solche Sachen" einem Buchtitel von Peter Fuchs entlehnt: "Liebe, Sex und solche Sachen. Zur Konstruktion moderner Intimsysteme" (Konstanz 1999). Das Buch ist aus einer Vorlesung entstanden; es ist verständlich geschrieben und provokant. Ich kann die Lektüre wärmstens empfehlen.

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