21. Mai 2011

Tabubruch

Es gibt Ungerechtigkeiten, die zum Himmel schreien.

Eine noch eher harmlose Variante aus der Literatur setzte Karl May in seinem Abenteuerroman "Winnetou I" in die Welt: Old Shatterhand befreit unerkannt die Apachenhäuptlinge Winnetou und dessen Vater aus den Händen der Kiowas. Als er später von den Apachen gefangen genommen wird, soll er am Marterpfahl sterben. Winnetou glaubt nicht der Beteuerung, sein Feind sei sein Freund. Der Leser fürchtet, dass hier jemand zu Unrecht hingerichtet wird. Das darf nicht sein. Auf die letzte Minute kann Old Shatterhand anhand einer Haarlocke beweisen, dass er einst der heimliche Retter gewesen war. Ohne dem wäre er unschuldig hingerichtet worden. Am schönsten finde ich den Moment, in dem der (fast tödliche) Irrtum auffliegt, denn dann erhält unser Bleichgesicht seine Rehabilitation. Mich durchströmten beim Lesen seltsame Gefühle: Der Verkannte steht als Held da und ihm gebührt große Dankbarkeit, der misstrauische Winnetou öffnet ihm sein Herz...

Die harte Variante aus der Realität: In Syrien fühlt sich ein autoritäres Regime bedroht durch friedliche Proteste einer Minderheit von unzufriedenen Bürgern. Sicherheitskräfte des Präsidenten Baschar Assad haben laut Augenzeugenberichten (Quelle) das Feuer auf einen Zug von Trauernden eröffnet und offenbar mehrere Menschen umgebracht. Nicht zum ersten Mal. Hier schritten die an die Unantastbarkeit einer Beerdigung Glaubenden unwissend zu ihrer eigenen Beerdigung. Zu den Toten, die betrauert werden, werden Trauernde als Tote hinzugefügt. Trauer wird maximiert. Mit anderen Worten: Das Morden dezimiert die Anzahl der Trauernden und erschafft zugleich neue Trauernde für die zusätzlichen Toten. Warum nur ist eine solche Perversität nicht per Moral tabu?! Es ist ungerecht gegenüber denjenigen, die in den "Himmel" verbannt wurden und deren Angehörigen, die in Sippenhaft genommen wurden und auch noch dran glauben müssen. Es gibt keinen Schutz und kein Recht auf Vertrauen. Ich finde keine richtigen Worte für diese Unheiligkeit, Moralabstinenz und Unmenschlichkeit am Friedhofsort.

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