20. Juni 2011

Die "nackte Gesellschaft"

So lautet ein entsprechender feministischer Artikel auf Zeit.de. Wieder zwinge ich meine Leser dazu, eine angegebene Quelle zu studieren, bevor mein Beitrag verständlich wird. Ich frage mich, ob dies Widerwillen erregt. Sorry, die Anregungen kommen halt zumeist von außen und verführen zu einer Stellungnahme.

Es geht in dem erwähnten längeren Essay um die sog. Softpornografisierung der deutschen Gesellschaft, den Siegeszug einer sanften Variante der Pornografie im Alltag der westlichen Gesellschaften... Ich wollte zuerst eine knallige Replik schreiben. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass die Autorin kaum den Zweck und die Ursachen des behaupteten Trends beleuchtet. Worin besteht in ihren Augen der angebliche "ikonografische Schaden" in den Köpfen der männlichen Betrachter? Diese Antwort bleibt Frau Radisch irgendwie schuldig, wenn sie sich am Ende selbst antwortet: "Der Schaden entsteht ... durch das Bild weiblicher Verfügbarkeit...".

Vermutlich meint sie mit Schaden die Inthronisierung der Frau als Sexualobjekt und damit einen eingeschränkten, abwertenden Blick der Männer auf das weibliche Geschlecht, der auf BetrachterInnen und  DarstellerInnen zurückschlägt. Wir Männer, so denke ich, finden dann in der Nahwelt vor der Haustür bzw. im Bett nicht jene seltenen oder gar unmöglichen Frauenkörper vor, die uns vorgegaukelt werden, wir sind dann enttäuscht und gehen in der Phantasie fremd. Hier wären alle beschädigt: die aussortierten oder an der Illusionierung mitarbeitenden Frauen, die belogenen oder zu streng richtenden Männer.

Doch dann machte ich eine folgenschwere Entdeckung: Mein Blogbeitrag ist unnötig. Die zumeist klugen Kommentare der ZEIT-LeserInnen nahmen mir alles aus dem Mund und fügten noch mir bisher nicht aufleuchtende Betrachtungsweisen hinzu. Zum Beispiel merkten sie an:

  • Der Einsatz nackter Haut verbessert die Vermarktung vieler Produkte
  • Freizügigkeit ist eine Form der weiblichen Macht
  • Es droht die Pflicht zur öffentlichen Nacktheit
  • Auch Männer müssen den Erwartungen der Frauen an sie gerecht werden
  • Immer mehr Frauen wollen das Tabu der weiblichen Sexualität brechen
  • Es handelt sich auch um eine Absetzbewegung selbstbewusster Frauen vom herrschenden Schönheitsideal
  • Auch Männer werden immer häufiger nackt gezeigt
  • Auch lesbische Frauen profitieren von nackt dargestellten Frauen
  • Durch optische Vorbilder wie Schlankheit und Fitness disziplinieren sich die Geschlechter
  • Die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Nacktheit ist angebracht
  • Frauen suchen Bestätigung und Anerkennung im männlichen Blick
  • Die Front der Pornografisierungsdebatte verläuft nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern innerhalb der Geschlechterklasse oder eines Individuums
  • Es fehlt bloß noch die Einbindung männlicher Körper in das Spiel von Lust, Dominanz und Verführung in der Öffentlichkeit
  • usw.
Das Meta-Problem ist eher: Wer von uns liest sich die ergiebigen 49 Kommentarseiten mit den 387 Wortmeldungen zu diesem Artikel durch (Stand: 20.06.2011, 16:30), um sie zusammenzufassen und somit fassbarer zu machen?! Die Verdichtung ergäbe einen noch weitaus interessanteren Folge-Artikel mit der mündigen Öffentlichkeit als Autorenkollektiv. Leider kümmert sich in der www-Welt niemand professionell darum. Oder habe ich etwas übersehen?

4 Kommentare:

  1. Hallo Frank,
    ich hatte den Zeit-Artikel auch mit Interesse gelesen, mir aber auch die Kommentare dazu aus Zeitgründen erspart. Warum schreibst du nicht, statt eines Mega-Folge-Artikels, der alle nur denkbaren Facetten beleuchet und ins rechte Licht setzt, deine eigenen Gedanken dazu, selbst wenn sie evtl. auch den vielfältigsten Aspekten, die vielleicht für andere bei dem Thema wichtig sind, nicht umfassendst gerecht werden.
    Ich habe Deinen Blog gerade erst entdeckt, finde das, was ich bisher gelesen habe, sehr gut. Mich interessierte einfach, was Du dazu denkst.
    Liebe Grüße,
    Ilona

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  2. Hallo Ilona,

    danke für das Lob und Deinen Kommentar.
    Nun, ich hatte diesmal nicht vor, meine eigene Meinung kundzutun, sondern mir ging es um die erwähnte Metaebene. Außerdem fand ich meine Meinung in manchen Zeit-Kommentaren schon wieder (bzw. dort wurde es besser ausgedrückt) und wollte die dortigen Meinungen nicht nachträglich als die meine ausgeben (ich war beeinflusst von den Denkanstößen). Ich hatte nichts Neues hinzuzufügen. Wobei: Meine Anstriche stellen eine eigene Reformulierung der Aussagen dar und ich habe meine Meinung in den Satz "Wir Männer, denke ich ..." gepackt. :-)

    Ich würde heute meinem Blogbeitrag hinzufügen: Sanfte Pornographie (nicht unbedingt mit explizitem Zeigen der Geschlechtsorgane) ist nicht nur alltäglich geworden, sondern aus meiner Sicht eine bestimmte Form der Kommunikation zwischen den Geschlechtern über Körperideale und Körperpraxis. Beide Seiten sind beteiligt. Der Feminismus greift daneben, denn es sind Frauen, die sich freiwillig (oder gegen Bezahlung) ablichten lassen und somit bestimmte Botschaften vermitteln (wollen). Und die Männer als "Empfänger" suchen sich jene weiblichen Aspekte heraus, die sie erregen.

    Die Debatte erinnerte mich an das erhellende Buch "Einfach schön. Schönheit als soziale Macht" von Bernd Guggenberger. Es gibt laut ihm eine "Schönheitsmacht", eine "Schönheitshackordnung", einen "Schönheitsterror" usw. Man kann hier leicht das Wort "Schönheit" mit "(erotischen) Körper" ersetzen. Das beste Zitat aus dem Buch ist m. E.: "Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als diejenigen, die angesehen werden" (S. 123). Dies ist ein Mechanismus der Asymmetrie (Beobachter versus Beobachtete), der noch immer wirkt. Ich wünschte, Attraktivität gelte als nicht "immer weiblich", aber es ist schwer, mit den Frauen diese Zuschreibung zu teilen. Es dauert wohl noch, bis bei uns die Männlichkeit voll in den Fokus der Frauenschaft gerät...

    Gruß, Frank

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  3. ja, du hast recht, es gibt diese asymmetrie. kennst du einen mann, der sich nicht nur ausnahmsweise als denjenigen betrachtet, der von frauen wahrgenommen wird? nach meiner erfahrung sind männer von dieser last befreit und mögen sich und ihren körper viel mehr. einfach unkomplizierter.

    was mich an der "nackten gesellschaft" aber ganz persönlich nervt ist die damit einhergehende gewöhnung an distanzlosigkeit oder grenzüberschreitung. im öffentlichen raum gilt die idee der rücksichtnahme nicht (mehr?) viel. ich bin sicher nicht prüde. aber ich möchte trotzdem nicht andauernd von halbnackten menschen umgeben sein, - auf der straße, im cafe etc. die derzeitige hitze macht's möglich. wenn ich etwas mehr mumm hätte würde ich die nächste frau, die nur mit einer shorts und einem bikinioberteil durch die stadt läuft (, und dabei sicher denkt, sie sei vollständig angezogen,) fragen, warum sie ein oberteil anhat. im ernst: warum ist gerade da die grenze? männer laufen doch mittlerweile auch mit nacktem oberkörper durch die städte. kommt mir komisch vor.
    gruß,
    ilona.

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  4. Ja, mir ist auch aufgefallen, dass Männer schnell ihr T-Shirt zücken, also ausziehen. Wir dürfen das! Aber wagen das nicht eher nur die Männer, die sich nicht zu schämen brauchen, weil sie Muskeln statt Fett präsentieren und damit eine positiv bewertete Eigenschaft wie Stärke zeigen?! Wäre die weibliche Brust nicht mit erotischer Bedeutung so aufgeladen, dann würden vielleicht auch Frauen oben ohne im Straßenverkehr herumlaufen. Dabei könnte die männliche Brust ja auch das Gegenteil von harmlosem Körperbereich darstellen, weil sie so flach ist. Motto: "zu wenig Brustmenge, das ist ekelig". Ist Brust nicht gleich Brust?! Ich stelle mir gerade die Frage, was die weibliche Brust schützenswert vor Blicken machen sollte im Gegensatz zum männlichen Pendant. Ist das nur antrainiert, damit die Frauen nicht von Männern zu stark begehrt werden?!

    Mich würde interessieren, warum du dich von der Halbnacktheit gestört fühlst. Was ist sozusagen das Thema, diesseits und jenseits von Prüderie? An Nacktheit lässt sich ja gewöhnen. An nackten Händen stören wir uns auch nicht, obwohl Frauen gern auf männliche Hände schauen und angeblich viel daran ablesen (Stärke, Schutz usw.). Gut, sie lassen sich nicht so gut verbergen. Ich könnte mir auch Klamotten vorstellen, die nur die Brüste freilegen. Und ich muss lachen bei der Vorstellung, wenn Männer beginnen, unten hinten ohne Blickschutz herumzulaufen gemäß meiner eigenen "Theorie": Die Brust der Frau ist der Arsch des Mannes. Denn so wie die schöne Weiblichkeit v.a. an der festen Brustform gemessen zu sein scheint, so wird der knackige Po beim Mann bevorzugt. Wenn die Frauen ihre Bikinioberteile fallen lassen, müsst der Mann sein Hinterteil freigeben. Ein weites Feld... :-)

    Gruß, Frank

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