29. Juni 2011

In eigener Sache II - Fechten als Lebenselixier

Da auch einige meiner Fechtkameraden in meinem Blog lesen, möchte ich heute einmal von meinem (tragischen?) sportlichen Werdegang im Fechtsport berichten.

Als Kind focht ich mehrere Jahre Florett (noch mit französischem Griff). Die Möglichkeit, als Kind Degen zu fechten, gab es damals in meinem Trainingszentrum noch nicht. Da ich vergesslich bin, verraten mir nur meine alten Urkunden, wann das genau war: 1983-1985. Eine kleine Ewigkeit her. Zum Glück haben diese Nachweise bis heute überlebt. Ist es Angeberei, wenn ich erwähne, dass ich unter anderem 2x Jahresbester im Trainingszentrum Fechten der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt gewesen war? Eine Parallele tut sich dabei auf: Aktuell führe ich nach 3 von 10 Turnieren die Rangliste meines Heimatvereins an, wenn auch knapp. Würde ich im Dezember immer noch ganz oben stehen, könnte ich von mir sagen: zum 3. Mal Jahresbester! Das wäre ein Traum, aber ich kenne ja die starke Konkurrenz. Wenn das mein ehemaliger Trainer aus DDR-Zeiten, Ulrich (Uli) Obst, wüsste, der würde sich bestimmt freuen. Denn der Weg in den Leistungssport war mir einst verwehrt geblieben.

Ich sollte und wollte mit 14 Jahren auf die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) nach Leipzig gehen. Es wäre traumhaft geworden, mit meinen Fechtfreunden wie Enrico und Kai dort im Internat zu wohnen, vom Elternhaus befreit, und an internationalen Wettkämpfen in der Ostzone teilzunehmen. Es hätte mein Leben radikal verändert. So aber wurde ich vom Sportarzt gnadenlos aussortiert, weil ich (angeblich) eine bedenkliche Hüftschwächung in mir trug. Der linke Hüftknochen sei zu dünn und ich würde im Rollstuhl enden, wenn ich weiter intensiv trainieren würde. Ein solches Horrorszenario verschreckt jedes Kind. Dabei hatten wir schon länger drei ma die Woche Training und mir ging es physisch gut. Ich hatte mit meiner Mutter gemeinsam ein Röntgenbild ansehen dürfen, auf dem im Vergleich mit rechts links eine kleine Abweichung sichtbar war (Oder war es pure Suggestion?!). Es war ein Schock, der mich noch heute traurig stimmt, wenn ich daran zurückdenke.

Denn wir wissen ja, wie praktisch und notwendig es ist, aufgrund seiner Stärken Karriere zu machen, in Wirtschaft (Bill Gates), Wissenschaft (Albert Einstein), Sport (Maradona), Musikgeschäft (Prince) und anderswo. Wer seine Talente oder Fähigkeiten nicht nutzt, muss sich mit weniger zufriedengeben. Schlimm ist es, wenn einem diese Chance abhanden kommt und man danach vielleicht nichts Besseres in die Waagschale des Lebens zu werfen vermag. Ich habe es versucht: im Schach, im Studium, im Beruflichen (Mediator, Technischer Redakteur). Es hat nicht so richtig hingehauen, während mein fechterisches Können von damals evident war und vermutlich zu weit mehr geführt hätte. Natürlich weiß ich nicht, ob ich je DDR-Meister oder höheres geworden wäre, aber meine Fechtkameraden, die nun ohne mich nach Leipzig verschwanden und somit auch als Freunde verlustig gingen, feierten ihre kleinen Erfolge. Ich hingegen musste 1985 abtrainieren, ja, aufhören, weil es sich nicht lohnte, mich zu fördern und weiter hart zu arbeiten in einer Altersklasse, die wegen der KJS sowieso bald (1986) aufgelöst werden würde. Ich konnte zumindest noch an einer längst geplanten DDR-Meisterschaft teilnehmen und landete im vorderen Mittelfeld, wobei ich sogar den späteren DDR-Meister im konkreten Gefecht besiegen konnte.

Ein bitterer Nachgeschmack bleibt jedoch, weil später (1991) der zuständige Bundeswehrarzt mir ein Röntgenbild zeigte, auf dem kein Hüftschaden zu erkennen war, so dass ich den Grundwehrdienst nicht aufgrund medizinischer Tatsachen umgehen konnte. Ich fühlte mich betrogen, so als sollte ich damals aus politischen Gründen vom Leistungssport abgehalten werden, der u. U. auch ins westliche Ausland führen würde. Ich weiß bis heute noch nicht, welcher der beiden Ärzte Recht hatte, aber ich lasse lieber die Finger von Verschwörungstheorien. Zugegebenermaßen schmerzt manchmal die Hüfte leicht, wenn ich die Fechtausfälle übertreibe ...

Eine Diagnose ist noch lange keine Prognose! Und so habe ich mich durchgerungen, 2007 wieder mit Fechten als Hobby anzufangen. Ich war gespannt, was 22 Jahre Pause rein praktisch bedeuten. Würde ich mich lächerlich machen oder von Null anfangen? Was wird gespielt, wenn ich mich im Florett (mittlerweile mit Pistolengriff) mit Jüngeren messe: eine reine Opferrolle?! Erstaunlich, wie viele Fähigkeiten (Beintechnik) sich reaktivieren ließen und was sich alles an Neuem (Hand und Fuß treffen) noch dazulernen ließ. Ich begann im Verein DFC, wo ich u. a. auch Fechtern im Alter von über 70 Jahren begegnete, was mich stark beeindruckte; es lehrte mich, dass man die Kampfsportart Fechten bis ins hohe Alter betreiben kann, was ich von Boxen und Judo nicht gerade behaupten würde. Im November 2010 wechselte ich dann nicht nur zum Fechtclub Radebeul, sondern auch zum Degen, was ich mir vorher nicht vorstellen konnte. Ich fürchtete mich nämlich beinahe vor dieser mir fremden und gefährlicheren Waffengattung, bei der im Gegensatz zum Florett (nur Brust und Rücken als legitimes Ziel) der ganze Körper inklusive Maske, Hand, Knie und Schnürsenkel Trefferfläche ist. Aktuell habe ich mich eingefuchst und mag nicht mehr aufhören (2x die Woche Training plus Wettkämpfe). Ach, hätte ich doch diese jahrzehntelange Pause nicht zugelassen!

Zum Schluss will ich noch gestehen, was mich am Fechten auch heute noch so fasziniert:
  • die Schnelligkeit, mit der man den anderen trotz dessen Wegrennens treffen kann (ohne ihn bis auf blaue Flecke zu verletzen) 
  • Gefechte gegen jung und alt, Männer wie Frauen
  • das Beachten von Strategie und Taktik wie im Schach, die man braucht, um zu siegen
  • die Körpertechniken in Arm und Bein, die es erlauben, den Gegner zu erreichen bzw. als Einziger zu treffen
  • das Belauern und Lernen aus den Angriffs- und Abwehrbewegungen des Gegners
  • die Spannung, wer zuerst 15 Treffer setzen kann und damit der Sieger ist
  • das Durchhalten langer und anstrengender Gefechte, trotz Schwitzen und "Atemnot" unter der Maske
  • natürlich auch das Erscheinungsbild des Fechters mit seiner Schutzausrüstung wie ein Astronaut und der elektronischen Anzeigetechnik an der Bahn
  • und das Anknüpfen an die Fechttradition und an die alten Fechtduelle in der Menschheitsgeschichte.

Kein Wunder, dass selbst Erwachsene unbedarft bei uns im Fechtclub Radebeul anfangen mit dieser Sportart. Es macht Spaß und hält fit! Doch wenn ich an Sascha denke, der erst seit ein paar Monaten ficht und schon gleichstark bzw. sogar leicht besser ist, dann weiß ich, welch dornigen Weg ich im Fechten noch zu gehen habe.

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