27. Juni 2011

Interview-Unfall: Hahne überfordert Koch

Der Diplom-Theologe und Fernseh-Moderator Peter Hahne hat für das ZDF den querschnittsgelähmten Samuel Koch, der in einer Wetten-Dass-Show bei einer (natürlich doppelt verlorenen) Wette schwer verunglückte, interviewt. Als wäre jener im Abarbeiten und Begreifen von brutalen Lebensverwerfungen der würdige Nachfolger von Monica Lierhaus. Einige Inhalte des Gesprächs können auf Spiegel Online nachgelesen werden, doch die Gefühlslage des Betrachters und Kritik am Interviewstil wurden dort ausgespart.

Ich war streckenweise peinlich berührt von manchen platten und suggestiven Fragen von Peter Hahne, die mit einem  Ja oder Nein schon beantwortbar gewesen wären. Und mir tat Samuel Koch leid, der manch unsensible Frage beantworten musste.

Mich irritierte die Präsentation des ehemals sportlichen, jetzt körperlich sichtlich schmächtigeren Mannes als einen von kleinen Wundern bei der Heilung heimgesuchten tapferen Kämpfers, bei dem es Schritt für Schritt bergauf geht. Der Anblick von Samuel Koch im Rollstuhl erinnerte mich fatal an den verstorbenen Leidensgenossen Christopher Reeve, der mit 52 Jahren an den Folgen seiner Verletzung starb (Infektion einer wundgelegenen Stelle laut Wikipedia). Man könnte bei aller Hoffnungsschürerei meinen, Koch würde demnächst voll genesen, zumal er selbständig atmen und seine Arme über die Schulter bewegen kann. Dabei droht ihm vermutlich ein ähnliches Schicksal wie Reeves, falls bzw. wenn seine Fortschritte im motorischen und sensorischen Bereich dann doch an die Grenze "Rückenmark" stoßen.

Der bekennende Christ Samuel Koch bedankte sich bei den Millionen fremden Zuschauern für deren überbordende Anteilnahme und entschuldigte sich zugleich für den Unfall, der den Samstagabend vieler, v. a. sehr junger Zuschauer verdarb. Die vielen Kisten an Zuschriften, Gedichten, Geschenken hätten mich auch überrascht. Glück für ihn, dass ihm diese Gaben halfen. Vordergründig ermöglichte das ZDF Herrn Koch seine fast erzwungene Danksagung und dürfte auch dessen teure Reha-Maßnahme in der Schweiz mitfinanzieren, aber eigentlich missbrauchte es ihn als Quotengarant und teilweise als Werbefigur für den christlichen Glauben. Die Anmoderation war erhellend: "...den jungen Mann, auf dessen Worte Millionen jetzt warten". Besonders Kinder dürften am Bildschirm gewesen sein, denn sie hatten damals im Dezember 2010 die Familiensendung "Wetten dass" mitverfolgt und waren erst recht vom tragischen Ausgang des Sprunges über ein rollendes Auto geschockt.

Ich möchte ein paar Gesprächsausschnitte wiedergeben:
Samuel Koch würde nach eigener Aussage das "Autogehüpfe" "unter den gleichen Voraussetzungen" wiedermachen, weil seine Skiurlaube und Wettkämpfe riskanter gewesen seien und bei seinen intensiven Vorbereitungen noch alles klappte. "Würde ich wissen, was passiert, wäre ich doof, wenn ich es noch mal machen würde, aber im Prinzip ...". Kann man Samuel, der vermutlich die Fernsehszenen noch nicht zu sehen bekam, die Verharmlosung seines Unfalls verdenken?!

Hahne: "Hat dieser Schicksalsschlag die Familie eher zusammengeschweißt?" Koch verwies darauf, dass seine Familie schon immer ein enges Verhältnis pflegte und bestätigte ein engeres emotionales Zusammenrücken.

Hahne: "Woher nehmen Sie eigentlich die Kraft dazu"? Koch gab an, dass Familie und  Gebete (Bibellesen) ihm geholfen haben. Doch ein erfragter Lieblingsvers fiel im spontan nicht ein. Hahne bot den starken Psalm-Spruch "Niemand kann tiefer fallen als in Gottes Hand" als Beispiel auf, woraufhin Samuel betonte, dass er relativ weich gefallen und besser dran sei als manch anderer Patient. Auf die Frage Hahne´s "Glauben Sie an Wunder, auch für sich"? entgegnete Samuel "Über Wunder spricht man nicht, da hofft man drauf". Hahne grub tiefer: "Wie sieht, damit wir das den Zuschauern auch mal sagen, Glaube für sie ganz praktisch aus?" Zögerliche Antwort: "Glaube findet im Kopf statt". Hahne bohrte nach, indem er wissen wollte, ob der Glaube von Koch so fest ist, dass er nicht gedacht hat, "Gott habe ihn vielleicht verlassen". Samuel bejahte natürlich. Dabei widersprach er sich selbst, als er "Verzweiflung", "harte Momente" und "traurige Tage" zugab, aber das naheliegende "Einheulen" und "Selbstbemitleiden" vehement ablehnte. Er ordnete sich einer Vorbildrolle unter und versagte sich privates Jammern angesichts von ihm bemängelter depressiver, auf hohem Niveau klagender deutschsprachiger Länder.

Einige Fragen fand ich substanzlos bzw. voll daneben: "Glauben Sie ... im Rückblick ..., dass Sie dieses Unglück irgendwie reifer gemacht hat, geprägt hat, andere Perspektiven geöffnet hat"? Koch reagierte zurückhaltend und ratlos, tolle Perspektiven vermochte er nicht zu erkennen. Hahne wollte auch wissen, ob Samuel gern "noch mal raus" und mit den Freunden am liebsten eine Pizza essen gehen möchte. Klar, das ginge; wenn ihn jemand füttere, wäre er gern dabei, war dessen lapidare Antwort. Hahne legte nach, indem er sich vergewissern wollte, ob es für einen jungen Menschen nicht gewöhnungsbedürftig sei, gefüttert werden zu müssen. Wir können leicht erraten, was Koch dazu meinte (JA). Hahne fragte außerdem, ob "Bewegung" in der Zukunft von Koch weiterhin das Thema Nummer Eins bleibe. Die Antwort war ein erwartbares, aber eher verstecktes JA.  Am Schluss auf das hinfällige Schauspielstudium von Koch anspielend, der für mich irgendwie Ähnlichkeiten mit dem Schauspieler Matthias Schweinhöfer hat, wollte Hahne in Erfahrung bringen, welche Rolle Koch denn gern mal übernehmen wöllte. Darauf wusste Koch verständlicherweise nicht wirklich etwas Realistisches zu sagen.

Alles in allem geriet das für den Befragten anstrengende Interview m. E. zu einem medialen Unfall. Ich habe Samuel auch eine Fernseh-Grußbotschaft an die Zuschauer gegönnt, aber ich hätte ihm keine einzige Frage gestellt. Mir wären als Moderator einfach keine passenden, nicht überfordernden Fragen an einen Mann, der noch mitten in seiner größten Lebenskrise steckt, eingefallen.

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