13. Juli 2011

Alltag II - Überleben durch Arbeit

Ich bin gerade arbeitslos - mal wieder. Keine Angst, jetzt folgt kein Jammern, sondern eine Besinnung. Der altbekannte Zustand kam in "Wellen": 2000, 2003, 2007, 2011. Dadurch fühle ich mich fast schon wie ein Profi und Rentner. Als würde ich den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Doch frei bzw. befreit fühle ich mich durch die Freisetzung von der Arbeit nicht, denn ich blicke noch auf kein Lebenswerk zurück und beziehe auch keine selbst erwirtschaftete Rente. Der Blick auf die Arbeit ändert sich, sobald sie fehlt. Ich sah in ihr fast nie eine Last. Nur als ich als 14-jähriger Schüler im Schlachthof körperlich anstrengende Arbeit für einen typisch mickrigen DDR-Lohn verrichtete und als ich zu nächtlicher Zeit während meines Studiums (nach der Wende ´89) bei der Post jobbte, war es keine Befriedigung.

Wer mich heute fragen würde, was ich an einem Arbeitsverhältnis gut finde, dem antworte ich: das belohnte Tätigsein! In dieser Formulierung stecken mehrere Bedeutungen. Das verdiente Geld macht mich selbständig: als Zahlungsmittel verschafft es mir Zugriff auf knappe, wertvolle Güter wie Zeit, Bewegungsfreiheit und Genussmittel aller Art (für die Befriedigung meiner primären Bedürfnisse). Geld motiviert ungemein, denn es eröffnet das Freikaufen von weiterem Beschäftigungszwang. Andererseits: Das aktive Produzieren bzw. Leisten von Diensten bezeugt Lebendigsein, verschafft Gebrauchtsein und Anerkennung, erzeugt soziale Kontakte und hält fit. Wir brauchen dieses Training, diese Bewegtheit, diesen Sondersinn. Dabei sind wir heutzutage schon so organisiert, dass Arbeit nicht nur das Überleben sichert, sondern auch das Leben garantiert. Ich höre deshalb nicht gern, wenn jemand pauschal sagt: "Ich will nicht arbeiten gehen, es ist so unergiebig, nervig, beengend, anstrengend, entfremdend, beängstigend, überfordernd". Doch wenn das Arbeiten als Zwang und Belastung erlebt wird, dann verstehe ich die Ablehnung. So weit, so schlecht.

Leider haben wir keine Wahl: Arbeiten muss sein. Das klingt nach einer ethischen Norm, aber es ist vielmehr ein Faktum. Hätten wir noch eine Tauschwirtschaft, in der es nicht um abhängige Lohnarbeit geht, müsste ich von der Hand in den Mund leben, meine Lebensmittel, meine Behausung usw. direkt herstellen. Wie ich es drehe oder wende: Das Leben als Rangeln mit der Welt verdammt zum Aufrechterhalten der Körperfunktionen, zum die-Haut-zu-Markte-tragen. Mit der Geburt ist Fremdbestimmung vorprogrammiert. Jeder ist sich dabei selbst der Nächste, da wir als Vereinzelte ein Ego besitzen, in das wir eingesperrt sind. Trotz Sozialität muss ich mich selbst versorgen, um andere nicht zu behindern oder auszunutzen. Lebenserhaltungstrieb und kulturelle Einzäunung sind hier am Werk. Das, was mein Körper für sich einfordert, um zu funktionieren und um sich gut zu fühlen, muss ich ihm geben. Niemand sonst opfert sich für mich auf. Ich bin mein bester, ja, einziger Freund.

Diese nötigen Besorgungen gelingen nur durch den Einsatz meiner physischen und psychischen Kräfte. Mehr besitze ich nicht. Ich muss meine Fähigkeiten nutzbringend umrubbeln in das Machtmittel Geld, indem ich meine Stärken (Schwächen) verkaufe und einen Mehrwert für mich und die anderen erziele. Arbeit macht dabei nicht automatisch Spaß, es sei denn, ich kann mein Hobby zum Beruf machen oder einer klaren Berufung folgen. Arbeit bringt ab von den Zielen der Muse und erfordert vereinfacht gesagt einen Kompromiss, nämlich das Abtreten eines Drittels Lebenszeit zusätzlich zum zweiten Drittel Schlaf, um wenigstens das dritte Drittel Freizeit freischaufeln (finanzieren) zu können.

Arbeit hält uns am Leben und macht uns zugleich sorgenfreier - wenn man sie denn findet und ausüben kann. Was ich sagen will, weil ich ab und zu ein Jammern auf hohem Niveau um mich herum vernehme: Das Verdammen der "Arbeit an sich" (das Beklagen ihrer Bedingungen steht auf einem anderen Blatt) hat keinen Sinn, solange es keine Alternative gibt. Wer leben will, kommt m. E. um die Arbeit als Voraussetzung für alles Weitere nicht drum herum.

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