23. Januar 2012

Alltag IV - städtische Erdgeschoss-Opfer

Als ich früher noch unter dem Dach wohnte, genoss ich die Aussicht (Weitblick) und die Wärme (im Sommer) - besonders aber die relative Ruhe da oben. Aktuell wohne ich an einer halbstark befahrenen Straße inkl.eingerückter Parkplätze, da ist Schluss mit lustig. Das Wohnen im Erdgeschoss ist aus vielerlei Hinsicht nachteilig. Als Vorteile sehe ich spontan nur a) den kurzen Weg zur Haustür bzw. zum Briefkasten, b) die Möglichkeit, dem Kater später einmal Freigang zu ermöglichen und c) den unmittelbaren Beobachtungsposten (vielleicht gut für Soziologen).

Wenn ich im sog. Homeoffice an den Werktagen an meinem Schreibtisch sitze, bekomme ich tagtäglich Postautos (die Postbeamten klingeln besonders gern bei Leuten im Erdgeschoss zum Hinterlegen von Paketen), Busse (eine Verkehrslinie führt hier entlang) und Müllwagen zu sehen, neben den PKWs und LKWs, versteht sich. Das Vorbeiflitzen all dieser motorisierten "Farbpakete" im 3-Sekunden-Takt von rechts nach links und umgekehrt irritiert mein Sehorgan. Doch damit nicht genug.

Die Fahrzeuge machen Lärm - je größer und schwerer, umso lauter. Ich spreche nicht von den Flugzeugen und Nahverkehrszügen, die ich ertragen muss (jaja, ich wohne nahe an der S-Bahn-Trasse des Haltepunktes Pieschen und knapp neben dem Start- und Landekorridor des Dresdener Flughafens). Ich meine den höllischen Straßenverkehr. Ständig höre ich ein Vorbeirauschen, erneut von rechts und von links. Ein- und ausparkende Autos samt des Tür- und Kofferraum-Zuschlagens quälen mein Gehör. Oft schrecke ich aus meiner Tätigkeit auf.

Aber es kommt schlimmer: In der unmittelbaren Nähe befinden sich auch Kindergarten und Schule. Also erlebe ich das Vorbeimarschieren der Schüler, Vorschulkinder und deren Eltern, die natürlich laut gröhlend, lachend, diskutierend oder erziehend an meinen beiden Wohnzimmerfenstern vorbeilaufen. Dabei schauen manche dieser Plagegeister auch schon mal gern zu mir herein, egal, ob jung oder alt. Entweder unabsichtlich (sie blicken im Laufen unspezifisch auf die Fensterfront, als würden sie eine Armeeparade abnehmen) oder absichtlich (sie bleiben stehen, weil sie meinen an der Fensterscheibe klebenden Kater entdecken oder mein durchschnittliches Gesicht sehen).

Ich werde Zeuge von allem Möglichen. Es bleiben bloße Unterhaltungsfetzen. Ich bin neugierig, aber bekomme den "Rest", das Davor und Danach des Witzes, des Streites, der Bestrafung nicht mit. Etwas Besonderes wie einen Unfall hingegen beobachtete ich wider aller Wahrscheinlichkeit bisher dennoch nicht. Doch die Passanten nutzen im Umkehrschluss sehr wohl den Einblick in mein Reich. Durch den Besitz eines Katers wurde mein Straßenfenster nun zum Schaufenster und Ereignisort: Eben wollte eine Mutti mit ihrem Söhnchen "Katzenschau" machen, aber das Körbchen am Fensterbrett war leer, was traurige Reaktionen hervorrief. Ich nickte fast entschuldigend mit dem Kopf und zeigte mit beiden Handflächen an, dass Moritz gerade schlief. "Na, dann bis zum nächsten Mal." Irgendwie auch tragik-komisch.

Und die Moral von der wahren Geschicht´?! Hm. Jalousien wurden glücklicherweise als Blickschutz erfunden, obwohl ich ungehindert einströmendes Tageslicht bevorzuge. Aber es fehlt an effektiven Schalldämpfern, die ich an die Fenster montieren könnte. Ich bin nicht nur ein armer Stadtmensch, sondern ein gebeuteltes Erdgeschoss-Opfer. Wer kennt den passenden Entschädigungsfonds?!

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