6. Mai 2011

Liebe, Teil 1 - "liob"

Mein Blog "Denksteine" trägt nicht ohne Grund den anspruchsvollen Untertitel "Liebe, Tod und ...". Mir schwebt eine lose Reihe an Beiträgen zum Thema Liebe vor. So möchte ich mal ein interessantes (Fach-)Buch vorstellen, mal aktuelle Forschungsergebnisse kommentieren und mal einzelne Theorien vorstellen. Dabei habe ich primär eine soziologische bzw. kulturwissenschaftliche "Brille" auf, denn mich interessiert speziell der gesellschaftliche Einfluss auf dieses Phänomen.

In meiner Magisterarbeit von 1999, die den Titel "Romantische Liebessemantik im Wandel. Diskussion soziologischer Diagnosen zum Umbau des Liebesideals" trug, kam ich zu der Einschätzung, dass Liebe wie Sexualität und Gewalt ein "hochkomplexes, multidimensionales, bio-psycho-soziales Phänomen verkörpert" und daher nicht durch fachspezifische Einseitigkeit hinreichend und überzeugend durchdrungen werden kann. Dennoch bin ich der Ansicht, dass soziale Faktoren den größten Anteil an der Erklärungskraft besitzen, weil wir als Sozialwesen die Liebe erfinden und ausleben.

Ich beginne heute mit der Frage, welche Bedeutung das Wörtchen "Liebe" ursprünglich hatte.
Dies ist natürlich ein weites Feld, aber es gibt "Krücken" wie die Sprache, die etwas Sicherheit im Dschungel der Liebestheorie und -praxis bieten. Als ich mir einst diese Frage stellte, schlug ich v. a. im „Etymologischen Wörterbuch des Deutschen“ (herausgegeben von Wolfgang Pfeifer im Jahre 1993 in der 2. Auflage beim Akademie-Verlag in Berlin) nach und ich erfuhr sinngemäß folgendes:
  • Das Adjektiv „lieb“ hat sich aus dem althochdeutschen „liob“ (um 800 nach Christus) und dem späteren mittelhochdeutschen „liep“ entwickelt.
  • Dieses „lieb“ trug zu Beginn miteinander verwandte Bedeutungen wie "wert, herzlich, freundlich, angenehm" und diente von Beginn an als Ausdruck für eine Emotion (Hinweis auf das Herz als Körperbezug und auf den Aspekt der kognitiven Bewertung des Gegenübers).
  • Das aus dem althochdeutschen „liubi“ (9. Jhd.) und weiter mittelhochdeutschem „liebe“ sich ergebende Substantiv „Liebe“ trug daher auch ursprünglich den Ausdruck "starkes Gefühl der Zuneigung, Barmherzigkeit, Mildtätigkeit".
  • Erwähnenswert finde ich die auffällige Ähnlichkeit mit dem Wort „lib-ido“ (die Lust). Für "lieben" gibt es explizit das lateinische Verb "amare".

Worte können ihre Bedeutung historisch verlieren oder ändern und verantwortlich dafür sind wir Anwender. Es ist sogar oft so, dass wir mit ein und demselben Wort Verschiedenes verbinden, v.a. bei "Liebe". Im Pluralismus lässt sich dies nicht verteufeln, aber ich plädiere im Zweifelsfall dafür, zusätzliche Wörter einzuführen, wenn man etwas bezeichnen möchte, das vom ursprünglichen Sinn abweicht. Je mehr uns neue Wörter zur Verfügung stünden, um die Bandbreite eines Phänomens abzudecken, umso weniger kämet es zu Missverständnissen. Macht es etwa Sinn, Liebe sowohl als intime Beziehung als auch als Gefühl der Zuneigung zu definieren, so wie ich es gelegentlich las?! In meinen Augen sind das zwei unterschiedliche Aspekte, obwohl sie miteinander zusammenhängen (ich werde später darauf zurückkommen). Daher hilft es, sich die alten Begriffsinhalte zu vergegenwärtigen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen